Ist die Zeit reif für Optimismus in Bezug auf Anleihen?

Das vergangene Jahr war für Anleihen eine Katastrophe. Alle Segmente des Marktes – von US-Treasuries bis hin zu Unternehmensanleihen aus den Schwellenländern (Emerging Markets, EM) – verzeichneten negative Erträge. Der Abschwung an den Kreditmärkten ging auf mittlerweile bekannte Faktoren zurück: der sprunghafte Anstieg der Inflation, höhere Zinsen, der Krieg in der Ukraine, die Rezessionsängste und die Blase am chinesischen Immobilienmarkt. Die Abflüsse aus Anleihenfonds fielen so hoch aus wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Warum also sind wir angesichts all dieser Negativfaktoren so optimistisch in Bezug auf 2023 gestimmt? Betrachten wir zunächst die Inflation. Nur wenige hatten mit einem derart raschen und starken Inflationsanstieg gerechnet, wie er 2022 in den westlichen Ländern zu beobachten war (in weiten Teilen Asiens fiel die Teuerung verhaltener aus). Dies hatte zur Folge, dass viele Zentralbanken, allen voran die US Federal Reserve (Fed), ihre Zinsen aggressiv anhoben. Anfang Februar scheinen die Maßnahmen nun Früchte zu tragen. Die Inflation lässt allmählich nach, insbesondere in den USA. 

Der sich aufhellende Ausblick bedeutet jedoch nicht, dass der Preisauftrieb der Vergangenheit angehört. Die Preise dürften zwar bis Jahresende sinken, aber noch nicht die Zielwerte der Zentralbanken erreichen. Wir sind überdies der Ansicht, dass einige Marktteilnehmer diese „Hartnäckigkeit“ unterschätzen. Vor diesem Hintergrund halten wir inflationsindexierte Anleihen zum jetzigen Zeitpunkt nach wie vor für eine gute Anlage.  

Ende des Straffungszyklus?

Wie steht es mit den Zinsen? Wie allgemein bekannt, sind steigende Zinsen schlecht für Anleihenanleger. Und obschon wir glauben, dass die Zinsen noch weiter steigen werden, nähern wir uns unserer Ansicht dem Ende der beispiellosen und global koordinierten geldpolitischen Straffung. Wann letztendlich Zinssenkungen vorgenommen werden (oder sich die Zinsen stabilisieren), variiert je nach Land und hängt von der Schwere der potenziellen Rezession ab. In Bezug auf die Fed rechnen die Marktteilnehmer beispielsweise ab Ende 2023 mit ersten Zinssenkungen. In Europa und Großbritannien – die beide hinter der Kurve zurückgeblieben waren – dürften diese erst später erfolgen.  

Vor diesem Hintergrund eröffnen sich unserer Ansicht nach bei bestimmten festverzinslichen Anlagen derzeit attraktive Einstiegsgelegenheiten. Die kurzfristigen Renditen haben wieder Niveaus erreicht, die bereits seit langer Zeit nicht mehr verzeichnet worden waren, wobei auch die Kreditspreads einen beachtlichen Anteil an der Gesamtrendite ausmachen.   

Was die Schwellenmärkte anbelangt, so nahmen einige Länder – Mexiko, Brasilien und Chile – bereits frühzeitig, und zwar ab 2021, Zinserhöhungen vor. Einige glitten in eine Rezession ab und einige wenige Länder wie Sri Lanka geriten aufgrund des starken US-Dollars und der hohen Finanzierungskosten in einen Zahlungsausfall. Doch nach einem schwierigen Jahr bessert sich die Lage nun wieder. Die Inflation ist rückläufig, was den Zentralbanken eine Stabilisierung des Zinsniveaus im weiteren Jahresverlauf und ab Ende 2023 Zinssenkungen ermöglichen dürfte. Mit Blick auf die Anlagemärkte ist ein Großteil der Belastungsfaktoren bereits in den Schwellenländerspreads berücksichtigt. Auf Risiko-Ertrags-Basis könnten EM-Anlagen unseres Erachtens daher positive, wenn auch volatile Erträge erzielen. 

Obschon wir glauben, dass die Zinsen noch weiter steigen werden, nähern wir uns unserer Ansicht nach dem Ende der beispiellosen und global koordinierten geldpolitischen Straffung.

Steuern wir nach wie vor auf eine Rezession zu?

Diese relativ guten Neuigkeiten sollten aber nicht über das Risiko einer von den Zentralbanken ausgelösten Rezession hinwegtäuschen. Die Zinsentwicklung wirkt sich stets mit zeitlicher Verzögerung aus und wir gehen davon aus, dass die vollständigen Auswirkungen erst in den kommenden Monaten zu spüren sein werden. Auch die Frühindikatoren deuten weiterhin auf einen Abschwung hin. Die Lagerbestände fallen hoch aus, während die Arbeitslosenquote in den USA sinkt. Automobilhersteller, welche die Zeichen der Zeit schon immer schnell zu deuten wussten, bieten allmählich Rabatte an, um den Absatz anzukurbeln. 
Dennoch glauben wir, dass der Abschwung weniger schwer ausfallen wird als in früheren Rezessionsphasen. Die Bilanzen der Banken präsentieren sich vergleichsweise robust. Auch zahlreiche Unternehmen befinden sich in besserer Verfassung als bei vorangegangenen Konjunkturabschwüngen. Dies könnte eine geringere Zahl an Rating-Herabstufungen und Ausfällen als in einer typischen Rezession zur Folge haben. China öffnet indes seine Wirtschaft nach drei Jahren mit COVID-Beschränkungen wieder. Die Gaspreise, die eine wesentliche Rolle für die europäischen Volkswirtschaften spielen, sind dank eines milden Winters gesunken. Außerdem ist davon auszugehen, dass die Zentralbanken ab Ende des Jahres Zinssenklungen einleiten werden.

Abschließende Erwägungen…

Nach katastrophalen zwölf Monaten hellt sich der Ausblick für Anleihenanleger wieder auf. Die Inflation ist rückläufig, während sich der Zinserhöhungszyklus seinem Ende nähert. Überdies gehen wir davon aus, dass etwaige bevorstehende Rezessionen milder ausfallen werden als gemeinhin angenommen. Und die Bilanzen der Unternehmen befinden sich allgemein in guter Verfassung, was ihnen dabei helfen dürfte, dem schwierigeren wirtschaftlichen Umfeld standzuhalten. Angesichts dieser Faktoren eröffnen sich unserer Ansicht nach bei vielen festverzinslichen Anlagen derzeit attraktive Einstiegsgelegenheiten. 

Zum jetzigen Zeitpunkt bevorzugen wir eine breite Palette an Fixed-Income-Anlagen, die von den im Vergleich zu den letzten Jahren deutlich erhöhten Renditen profitieren. Investment-Grade-Papiere (die Anleihen bonitätsstärkerer Unternehmen) erscheinen derzeit attraktiver als entsprechende Hochzinsanleihen (Papiere von Unternehmen mit geringerer Kreditwürdigkeit). Letztere dürften im weiteren Verlauf des Jahres aber an Reiz gewinnen. Auch Schwellenländeranleihen halten wir aus Risiko-Ertrags-Erwägungen allgemein für attraktiv, allerdings ist ein selektives Vorgehen wie gehabt von entscheidender Bedeutung.