In einer Welt nach der Pandemie, in der die Lieferketten neu ausgerichtet werden und die Sicherung der Lagerbestände an erster Stelle steht, veranlassen die zunehmenden geopolitischen Spannungen die Unternehmen dazu, „Nearshoring“ zu prüfen. Dabei geht es um die Auslagerung der Produktion von Waren, Dienstleistungen und Materialien an Firmen, die näher an den jeweiligen Endmärkten liegen.

Dank seiner Nähe zu den USA und des Abkommens zwischen den USA, Mexiko und Kanada (USMCA) wird Mexiko der größte Nutznießer der Nearshoring-Bemühungen von US-Unternehmen sein. Der Reichtum an natürlichen Ressourcen, die Vorteile auf dem Arbeitsmarkt und die niedrigeren Produktionskosten haben sich für viele US-Unternehmen als verlockend erwiesen. Einige skeptische Anleger bezweifeln jedoch, dass es sich hier um echtes Nearshoring handelt und nicht vielmehr um einen zyklischen Trend, der mit der Stärke der US-Wirtschaft zusammenhängt - und der bei einer Rezession in den USA wieder nachlassen könnte.

Mexikos nächster großer Investitionszyklus

Seit der Unterzeichnung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) im Jahr 1992 hat Mexiko engere wirtschaftliche Beziehungen zu den USA. Wie aus Schaubild 1 hervorgeht, stammten mehr als 56 % aller ausländischen Direktinvestitionen (ADI) in Mexiko aus den USA. Bemerkenswert ist, dass die Daten vom Juni diesen Jahres zeigen, dass Mexiko an der Spitze der Liste der US-Einfuhren nach Herkunftsland steht.[1]

Schaubild 1: Ausländische Direktinvestitionen in Mexiko nach Ländern im Jahr 2022

Quelle: Statista 2023

Vor allem Nordmexiko hat von seiner Nähe zu den USA profitiert. Die Region unterhält bereits enge wirtschaftliche Beziehungen zu den US-Grenzstaaten und diese Verbindungen werden sich nur noch verstärken, wenn die USA das Nearshoring ausweiten. Investitionsdaten von Unternehmen, die planen, ihre Lieferketten nach Mexiko zu verlagern, deuten darauf hin, dass dies bereits jetzt schon der Fall ist.

Schaubild 2: Angekündigte Investitionen (Mio. $)

Wachstum für alle

Ein eindeutiger Nutznießer der höheren ausländischen Direktinvestitionen in Mexiko ist der Industrieimmobiliensektor. Die Unternehmen in diesem Bereich berichten über eine starke Nachfrage nach Industrieflächen von potenziellen Mietern, die ihre Geschäftstätigkeit ausweiten wollen. Infolgedessen ist der Immobilienmarkt derzeit angespannt, insbesondere in den nördlichen Bundesstaaten. Dies treibt die Mieten in die Höhe und schafft neue Wachstumsmöglichkeiten für Entwickler.

Auf einer kürzlich durchgeführten Investmentreise haben wir mit vielen Bankenvertretern gesprochen. Sie sind der Meinung, dass Mexiko bereits vom Nearshoring-Trend profitiert hat, und führen ihn auf die Erweiterung der NAFTA und ihre Erneuerung im Rahmen des USMCA zurück. Eine Bank im Norden erklärte, dass sie indirekt über kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in der Lieferkette vertreten ist. Viele profitieren bereits von der wachsenden Produktionsbasis in der Region, während andere größere Banken ihre Präsenz dort ausbauen wollen.

Schaubild 3: Leerstandsquoten bei gewerblichen Immobilien

Quelle: JP Morgan, Juni 2023

Generell sind mexikanische Unternehmen aller Branchen optimistisch, was die Chancen des Nearshoring angeht. Viele sind der Meinung, dass zusätzliche Investitionen und ein dynamischeres Wachstum zu mehr Beschäftigung, höheren verfügbaren Einkommen und folglich zu einem höheren Konsum führen werden. Konsumunternehmen machen einen großen Teil des mexikanischen Aktienmarktes aus. Und obwohl der Verbrauchersektor kein offensichtlicher Nutznießer höherer ausländischer Direktinvestitionen ist, erleben diese Unternehmen derzeit ein relativ robustes Konsumumfeld. Eine stärkere Wirtschaft dürfte den Konsum weiter ankurbeln.

Die politische Landschaft

Regulatorische Umwälzungen und politischer Streit sind die Hauptrisiken für Unternehmen mit Sitz in Mexiko oder für diejenigen, die ihre Lieferketten dorthin verlagern wollen. In einem aktuellen Fall, an dem das spanische Unternehmen für erneuerbare Energien Iberdrola beteiligt war, erwarb die mexikanische Regierung 13 Kraftwerke im Auftrag des staatlichen Stromversorgers Federal Electricity Commission. Zunächst wurde in den Nachrichten der Eindruck erweckt, die Regierung versuche, privates Vermögen zu enteignen, was in der Geschäftswelt zu erheblichen Kontroversen führte. Letztendlich erhielt Iberdrola jedoch ein großzügiges Angebot in Höhe von 6 Milliarden Dollar, und der Vorstand des Unternehmens stimmte dem Geschäft einstimmig zu.

Die regionale Politik kann unbeständig sein. Die Umsetzung der Politik durch die derzeitige Regierung hat die Wahrnehmung des politischen Risikos erhöht, insbesondere in stärker regulierten Sektoren. Trotzdem haben sich die mexikanischen Institutionen gut gehalten und verhindert, dass unorthodoxe Reformen kritische Sektoren zum Entgleisen brachten. Ein Beispiel dafür ist die Entscheidung des Kongresses, das Bergbaugesetz, das die Entwicklung des Sektors behindert hätte, zu verwässern. Auch der Oberste Gerichtshof hat sich zur Verfassungswidrigkeit einiger Gesetzesentwürfe geäußert, was ein weiteres Beispiel für das ordnungsgemäße Funktionieren der gegenseitigen Kontrolle ist.

Ein wachsender Markt

Der mexikanische Aktienmarkt hat noch reichlich Raum für Wachstum. Derzeit entscheiden sich die mexikanischen Unternehmen jedoch häufig dafür, ihre Geschäftstätigkeit über den Fremdkapitalmarkt zu finanzieren, wodurch der Aktienmarkt unterentwickelt ist. Das Fehlen einer starken Entwicklungsbank und ein noch im Entstehen begriffenes Finanzmarkt-Ökosystem, einschließlich der Rolle von Pensionsfonds bei Aktieninvestments, haben ebenfalls dazu beigetragen. Aber die Situation verbessert sich allmählich. Die Regierung versucht, das Börsengesetz zu modernisieren, um mehr Unternehmen zur Teilnahme an den Kapitalmärkten zu bewegen. Gleichzeitig unternimmt sie Schritte, um die Pflichtbeiträge zu den Pensionsfonds zu erhöhen. Dies dürfte dazu führen, dass das von den Pensionsfonds verwaltete Vermögen steigt, was wiederum auch zu einer stärkeren Allokation in inländische Aktien führen wird.

Es bleibt abzuwarten, ob der Anstieg der Investitionen in Mexiko von Dauer ist oder nur ein Nebeneffekt der starken US-Wirtschaft. So oder so profitieren die Unternehmen vor Ort von dem Optimismus und der Dynamik der mexikanischen Wirtschaft. Im nächsten Jahr könnten sich jedoch aus den Wahlen in den USA und Mexiko politische Risiken und Unsicherheiten ergeben. Wer auch immer in Mexiko gewinnt, wird sich anstrengen müssen, um die Chancen, die das Nearshoring bietet, zu nutzen.