Die US-Kontrollbehörde US Office of Foreign Assets Control, die EU und Großbritannien sowie andere Länder erlassen immer neue und umfangreichere Wirtschafts-, Handels- und Anlagebeschränkungen gegen Russland. Die Sanktionen, die von den Ländern koordiniert werden, sind weitreichend und haben erhebliche Folgen für Anlagen.

Wir wollen an dieser Stelle nicht auf die Details des komplexen Netzes globaler Sanktion eingehen. Die praktische Folge, die sich für die meisten Anleger an den internationalen Märkten und den Schwellenmärkten (EM) ergibt, besteht darin, dass es US-Personen (und jenen, die US-Sanktionen unterliegen) nun im Wesentlichen untersagt ist, ihr Engagement bei jedwedem russischen Staats- oder sonstigen Unternehmen aufzustocken. Nicht-US-Personen können weiterhin russische Titel erwerben. Allerdings ist die Liquidität begrenzt, und aufgrund der mangelnden Bereitschaft einiger Vermittler, Transaktionen zu verarbeiten, könnten die Geschäfte platzen.

Veräußerung stellt eine Herausforderung dar

Bei den von Ausländern gehaltenen russischen Staatsanleihen im Umfang von rund USD 20 Mrd. haben die Sanktion einen Wertverfall nach sich gezogen. Unter diesen Umständen haben die Anleger im Wesentlichen zwei Optionen: 1) ihr bestehendes (stark wertgemindertes) Engagement in der Hoffnung auf eine endgültige Lösung des Ukraine-Konflikts, die zu einer Lockerung der Sanktionen gegen Russland führt, zu halten, oder 2) sich einen Restwert zu sichern, indem sie nun versuchen, ihre russischen Papiere am Sekundärmarkt abzustoßen.
Da sich die meisten westlichen Banken effektiv aus dem Handel mit russischen Wertpapieren zurückziehen, waren Anleger mit Russland-Exposure in der Praxis gezwungen, Option 1 zu wählen. Im Juli veröffentlichte das US-Finanzministerium jedoch neue Leitlinien, die klarstellten, dass sich US-Personen um eine Auflösung ihrer Positionen bei Unternehmen, die nicht auf der Liste der Specially Designated Nationals stehen, bemühen könnten. Ferner dürfen US-Finanzinstitute das Clearing und die Abwicklung von Veräußerungstransaktionen vornehmen oder anderweitig dabei als Vermittler am Sekundärmarkt für Nicht-US-Personen auftreten.

Dem Vernehmen nach kehrten einige US-Banken nach diesen Klarstellungen vorsichtig an den Markt für russische Anleihen zurück, um Veräußerungen vorzunehmen. (1) Obwohl es wenig Angaben zum womöglich heiklen Thema des generellen Käufertyps bei diesen Veräußerungstransaktionen gibt, war seit Ende Juli eine gewisse Erholung bei den Bewertungen russischer Anleihen zu beobachten.

Das breitere Umfeld der Anlageklasse

Außer Acht gelassen werden sollte jedoch nicht, dass der Wert der ausstehenden russischen Staats- und Unternehmensanleihen im Vergleich zum Gesamtvolumen des Marktes für Staats- und Unternehmensanleihen aus den Schwellenländern recht moderat ist. Folglich fielen die unmittelbaren Auswirkungen auf die Anlageklasse recht verhalten aus. Sogar vor dem Beginn der Spannungen zwischen Russland und der Ukraine lag die Gewichtung Russlands im USD 1.365 Mrd. schweren JPM EMBI Global (sovereign) Index und im USD 1.372 Mrd. schweren JPM CEMBI Broad (corporate bond) Index bei 3,2% bzw. 4,7% (2). Und angesichts der relativ hohen Volatilität russischer Anleihen, ist die Stabilität von Schwellenländeranleihen auf Anlageklassenebene sicherlich gestiegen, nachdem die Gewichtung Russlands in den Indizes Ende März 2022 auf null gesetzt wurde.

Ein höchst ungewöhnlicher Ausfall

Obwohl die Auswirkungen der gegen Russland verhängten Sanktionen für die meisten professionellen EMD-Anleger überschaubar gewesen sein dürften, könnten die künftigen Auswirkungen aus Risikoperspektive recht erheblich ausfallen. Dies ist den außergewöhnlichen Umständen geschuldet, unter denen die russischen Anleihen seit Kurzem als „ausgefallen“ gelten.

Wenn ein Land oder ein Unternehmen seinen Zahlungsverpflichtungen aus Anleihen nicht nachkommt, geht dies in der Regel darauf zurück, dass schwierige Bedingungen eine Zahlungsunfähigkeit zur Folge haben. Mitunter kommt es jedoch auf vor, dass der Emittent nicht zahlungswillig ist. Was die russischen Staatsanleihen betrifft, so ist die Zahlungsfähigkeit des russischen Staates zweifellos mehr als ausreichend. Russland war trotz der abträglichen Auswirkungen der Sanktionen in der Lage, sein Öl und Gas (zu ermäßigten, aber immer noch hohen Preisen) an große Länder wie China und Indien zu verkaufen, die nicht an den Sanktionen teilnehmen.

Da Russland auch seine Zahlungsbereitschaft kundgetan hat, geht sein Ausfall darauf zurück, dass das Land aufgrund der Sanktionen und des Ausschlusses vom globalen Zahlungssystem keine Zahlungen leisten durfte. Sanktionierte und nicht sanktionierte russische Unternehmen stehen vor ähnlichen Problemen, wenn sie Rückzahlungen an die Anleiheninhaber leisten wollen. Einige haben die Anleihengläubiger gebeten, ihre Zustimmung zur Stundung der Zahlungen und alternativen Zahlungsmechanismen zu geben.

Neues Risikoparadigma für Anleger in Schwellenländeranleihen?

Die wichtigste Lehre, die sich aus den Russlandsanktionen für die Zukunft ergibt, könnte darin bestehen, dass Anleger eine neue Ausfallkategorie („Ausschluss aus dem globalen System“) in ihren Risikorahmen einbeziehen müssen. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist, inwieweit der russische Ausfall als einmalige Anomalie betrachtet werden kann. Die unbestreitbare neue Realität eines protektionistischen und im Allgemeinen weniger kooperativen Weltsystems, die sich in den letzten Jahren herausgebildet hat, lässt unseres Erachtens das Gegenteil vermuten.

Womöglich ist der US-Dollar als Reservewährung künftig weniger stark gefragt

Aus Sicht der Emittenten erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass die jüngsten Sanktionen gegen Russland dazu beitragen, dass Initiativen zur Minderung derartiger Risiken eines Systemausschlusses vorangetrieben werden. Eine Folge dürften beispielsweise beschleunigte Bestrebungen seitens einiger Länder sein, eine alternative globale Reservewährung zum US-Dollar zu installieren.

Zweifellos dürfte die überwältigende Dominanz des US-Dollar in absehbarer Zeit kaum enden, wenngleich zumindest vereinzelte Hinweise dafür sind zu erkennen. Jüngste Beispiele sind russische Unternehmen wie der Aluminiumhersteller Rusal und der Goldproduzent Polyrus, die Anleihen in Yuan emittiert haben (3). Ferner prüft Saudi-Arabien Berichten zufolge die Möglichkeit, den Yuan (statt dem US-Dollar) für seine Ölexporte nach China zu akzeptieren (4).

Zusammenfassung

Alles in allem bestanden die wichtigsten unmittelbaren Auswirkungen der Russlandsanktionen für EMD-Anleger in einem effektiven Verbot, neues oder zusätzliches Russland-Exposure ins Portfolio aufzunehmen. Anleger mit bestehendem Russlandengagement stehen vor der Wahl, entweder ihre Position zu halten oder sie zu veräußern, wobei Letzteres derzeit mit technischen Schwierigkeiten verbunden ist. Angesichts des relativ geringen Volumens der von Ausländern gehaltenen russischen Anleihen haben sich die Auswirkungen auf die Anlageklasse der Schwellenländeranleihen insgesamt als überschaubar erwiesen. Mit Blick auf die Zukunft könnten diese Sanktionsphase und ihr höchst ungewöhnliches Ausfallereignis allerdings eine wesentlich größere Bedeutung haben, was die Art und Weise betrifft, wie Anleger das Risiko von Schwellenländeranleihen bewerten.

Quellen

1. Reuters, 17 August 2022. https://www.reuters.com/markets/europe/exclusive-wall-street-revives-russian-bond-trading-after-us-go-ahead-2022-08-15/

2. JP Emerging Markets Bond Index Monitor – December 2021 edition. Alle Zahlen per 31. Dezember 2021

3. https://www.reuters.com/markets/europe/russias-no1-gold-producer-polyus-issues-bonds-chinese-yuan-2022-08-24/

4. https://www.wsj.com/articles/saudi-arabia-considers-accepting-yuan-instead-of-dollars-for-chinese-oil-sales-1164735154