2020 gab Aberdeen Standard Investments eine umfassende Umfrage an den fünf größten Versicherungsmärkten in Europa – Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien und die Schweiz – in Auftrag. Unser Ziel war es, herauszufinden, wie Versicherungsanleger auf die Herausforderungen in Bezug auf ökologische, soziale und Governance-Belange (ESG-Belange) reagieren. Der vollständige Bericht umfasst die aktuellen Praktiken, künftigen Zielsetzungen und Ansichten der wesentlichen Entscheidungsträger von 60 europäischen Versicherungsunternehmen.

Bei der Beurteilung von Auswirkungen und der Ermittlung von Nachhaltigkeitszielen orientieren sich Versicherungsunternehmen zunehmend an den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen. Die 17 SDGs benennen die dringlichsten Belange des nächsten Jahrzehnts und deklarieren jeweils spezifische Zielvorgaben, die bis 2030 erreicht werden sollen.

Das Hauptaugenmerk der Anleger liegt dabei auf jenen SDGs mit Bezug zum Klimawandel. Von allen portfolioweiten ESG-Zielen weisen 96% einen Bezug zu diesem Thema auf.

Klare Klimaziele

Klimaziele fallen in eine von zwei Hauptkategorien: solche, die ein geringeres Exposure gegenüber Klimarisiken anstreben, und solche, die zur Energiewende beitragen wollen.

Die Senkung der CO2-Emissionen ist ein gängiges Ziel: 30% der Umfrageteilnehmer streben eine Reduzierung der CO2-Bilanz ihrer Portfolios an. Einige Versicherungsunternehmen gehen sogar noch weiter und haben Netto-Null-Ziele bekannt gegeben, die entweder bis 2030 oder bis 2050 erreicht werden sollen.

Ein weiterer Ansatz besteht darin, das Engagement bei grünen Vermögenswerten schrittweise zu steigern. 58% der Umfrageteilnehmer planen, ihre Allokationen bei grünen Anlagen aufzustocken. Dies erfolgt üblicherweise über grüne Anleihen und private Vermögenswerte (z.B. Immobilien und Infrastruktur).

Da viele Versicherungsunternehmen passive Anlagen tätigen, ist mit diesen Veränderungen eine Abkehr von traditionellen Benchmarks verbunden. 39% der Umfrageteilnehmer beabsichtigen bereits, für ihr passives Aktienengagement auf ESG- oder Klimabenchmarks umzuschwenken.

Zusammengenommen stehen diese Ziele im Einklang mit einem Temperaturanstieg von weniger als 2°C. Obschon dies ein nach wie vor seltenes Ziel unter Versicherungsunternehmen ist, geben 35% an, dass ihre Umweltbemühungen sie näher an dieses heranführen dürften.

Die Rolle der Regulierung

Dass Versicherer ihren Schwerpunkt auf den Klimawandel legen, geht zu großen Teilen auf die Regulierung zurück. Tatsächlich weisen die meisten Verordnungen in Bezug auf nachhaltige Anlagen einen spezifischen Fokus auf den Klimawandel auf.

So müssen institutionelle Anleger in Frankreich beispielsweise gemäß Artikel 173 des Energiewendegesetzes des Landes ihre nachhaltigen Anlagepraktiken offenlegen. Ein französischer Sach- und Unfallversicherer machte dies mit folgenden Worten deutlich: „Alles deutet auf den Klimawandel hin. Jedes Jahr müssen wir offenlegen, was wir getan haben, um zum Kampf gegen den Klimawandel beizutragen. Niemand fragt uns, was wir zur Bekämpfung von Ungleichheit oder Hunger tun. Die Regulierung legt die Prioritäten fest.“

Die Verordnungen der Europäischen Union in Bezug auf nachhaltige Finanzierung stellen den Klimawandel ebenfalls in den Mittelpunkt. Die EU-Taxonomie für nachhaltige Aktivitäten wurde gezielt so konzipiert, dass die enthaltenen Aktivitäten in sechs Säulen zusammengefasst sind, die allesamt im Zusammenhang mit Umweltzielen stehen: Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

Diese Taxonomie ermöglicht es Anlegern, „grüne“ Vermögenswerte zu identifizieren, indem sie Performance-Schwellenwerte für wirtschaftliche Aktivitäten festlegen, die einen wesentlichen Beitrag zu einem der sechs Umweltziele leisten, die anderen fünf nicht deutlich beeinträchtigen und Mindestschutzanforderungen genügen. So können Anleger klare Zielsetzungen definieren, ohne Anschuldigungen von „Greenwashing“ fürchten zu müssen.

Die Aufsichtsbehörden spielen eine ebenso wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Versicherer dabei zu unterstützen, Belange anzugehen, die ein wesentliches Risiko für ihre Solvenz darstellen könnten. Auch hier liegt der Fokus auf dem Klimawandel. In Großbritannien veröffentlichte die UK Prudential Regulation Authority im April 2019 ihr Supervisory Statement SS319, das zur Bekämpfung von Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel gedacht ist. In Frankreich ist die dortige Finanzaufsichtsbehörde (Autorité de contrôle prudentiel et de résolution, ACPR) bestrebt, Banken und Versicherungsgesellschaften bei der Steuerung klimabedingter Risiken zu unterstützen.

Vorteile von Messbarkeit

„Wir können nur verwalten, was wir auch messen können“, gab uns ein Schweizer Lebensversicherer zu verstehen. Ein weiterer Grund für den Fokus der Versicherungsbranche auf den Klimawandel ist die Messbarkeit von Klimarisiken. Versicherungsunternehmen profitieren von einer Palette an Tools, die speziell dazu entwickelt wurden, den Klimawandel und dessen Folgen zu bewerten. Beispielsweise sind die Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) allgemein als umfassendes Rahmenwerk zur Messung und Bewältigung klimabedingter Risiken anerkannt.

Die Umfrageteilnehmer sagen aus, dass sie dank solcher Initiativen in der Lage sind, tiefer greifende Analysen von Klimarisiken durchzuführen, was bei anderen ESG-Faktoren nicht der Fall ist.

Diese umfassendere Analyse erfolgt überwiegend in Form von Szenarioanalysen, die eine Beurteilung der physischen sowie der Übergangsrisiken ermöglichen. Klimastresstests sind ein neuartiges Tool und zielen direkt auf den Kern der Versicherungsbranche ab: Risiko und Solvenz.

Szenarioanalyse

Der Einsatz von Klimawandelszenarien beim aktiven Risikomanagement erfreut sich unter Versicherungsunternehmen immer größerer Beliebtheit. Bedingt durch die Regulierung haben 57% der Befragten bereits damit begonnen, die potenziellen Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Anlageportfolios anhand verschiedener Szenarien abzuwägen. Bei der Durchführung dieser Analysen orientieren sich die Versicherungsgesellschaften zunehmend an den Empfehlungen der TCFD.

Analyse der physischen Risiken

Physische Risiken ergeben sich aus veränderten Klimamustern. Diese Risiken können sowohl direkte (z.B. durch Schäden an Anlagen) als auch indirekte (durch Lieferkettenstörungen) finanzielle Auswirkungen auf Unternehmen haben. 60% der Versicherer haben bereits damit begonnen, ihr Exposure gegenüber diesen Risiken zu bewerten. Da die Analyse der physischen Risiken detaillierte Informationen zu Unternehmen erfordert, die möglicherweise nicht öffentlich zur Verfügung stehen, sind die Versicherer entweder Partnerschaften mit externen Datenanbietern eingegangen oder legen sie den Fokus auf direkt gehaltene private Anlagen.

Analyse der Übergangsrisiken

Der Übergang zu einer emissionsärmeren Wirtschaft könnte erhebliche Geschäftsrisiken für Unternehmen und deren Anleger nach sich ziehen. Rund 56% der Versicherungsunternehmen haben Analysen zu den Übergangsrisiken durchgeführt. Dabei sind qualitativere Input-Faktoren vonnöten als bei der Beurteilung der physischen Risiken. Um ihr Exposure gegenüber Übergangsrisiken zu messen, nutzen die meisten Versicherer Ersatzwerte wie etwa CO2-Bilanzen. Diese werden jedoch nur als ein erster Schritt erachtet, da sie nicht die gesamte Bandbreite der Übergangsrisiken abdecken.

Klimastresstests

Mit Klimastresstest sollen die Auswirkungen verschiedener Klimawandelszenarien auf die finanziellen Erträge und die Solvenz eines Versicherungsunternehmens projiziert werden. Von den Umfrageteilnehmern haben 9% bereits entsprechende Stresstest durchgeführt und 52% planen, dies in Zukunft zu tun. Dabei deuten die Befragten auf zwei wesentliche Beschränkungsfaktoren hin: Anlagehorizont und Offenlegung. „Ich weiß nicht, wie ich mein Portfolio auf das Jahr 2050 ausrichten soll, wenn ich größtenteils bei kurzfristigen Anlagen engagiert bin“, so ein britischer Lebensversicherer.

Es ist ermutigend, dass sich Versicherer Innovationen zur Bekämpfung des Klimawandels zunutze machen. Es muss jedoch noch mehr getan werden, sowohl im Hinblick auf den Klimawandel als auch auf andere ESG-Aspekte. Auf dem Weg der Versicherer zu nachhaltigen Anlagen sind weitere Innovationen erforderlich.

Die vollständige Versicherungsumfrage finden Sie hier.