Investitionen in Schwellenländer waren schon immer ein Balanceakt. Die Verheißung eines hohen Wachstumspotenzials wird häufig durch die diesen Märkten innewohnende Volatilität und Ungewissheit gedämpft. 

Ein Land, das in letzter Zeit eine überdurchschnittliche Performance gezeigt hat, ist Indien. In diesem Artikel erörtern wir die Chancen und Risiken, die mit dem Markt verbunden sind, und ob er auch im Jahr 2024 noch ein attraktiver Ort für Investments ist.

Indiens wirtschaftlicher Aufschwung

Die indische Unternehmenslandschaft tendiert dazu, das Glas halb voll zu sehen. Und die derzeitige Aufbruchstimmung bei den Unternehmen ist nicht unbegründet – auch wenn sie in krassem Gegensatz zur weltweit vorherrschenden Stimmung steht. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass das Wachstum in den Jahren vor der Covid-19-Pandemie unterdurchschnittlich war und gerade erst wieder wuchs als die Pandemie ausbrach. Indiens Wirtschaft scheint nun aber wieder aufzuholen, was auf die Wiederbelebung der Wirtschaft nach Covid und die Verringerung der politischen Risiken zurückzuführen ist. Infolgedessen kommt die zunehmende Wachstums-Story ziemlich stark zum Tragen.

Politische Stabilität und Reforminitiativen

Das Wachstum wurde durch die politische Stabilität und die Wirtschaftsreformen von Premierminister Narendra Modi, der sich für eine dritte Amtszeit bewirbt, unterstützt. Während in den ersten Jahren von Modis Regierung weitreichende Reformen durchgeführt wurden, gab es in den letzten Jahren eher schrittweise Veränderungen. Das Fundament, das durch diese frühen Reformen gelegt wurde, bildet jedoch weiterhin die Grundlage für die derzeitige positive wirtschaftliche Entwicklung Indiens. Ein Beispiel dafür ist die Waren- und Dienstleistungssteuer, die die Steuereinnahmen erheblich gesteigert hat. Diese Reformen werden nun genutzt, um wichtige Infrastrukturprojekte zu finanzieren, die für die Schaffung einer soliden Grundlage für nachhaltiges Wachstum entscheidend sind.

Gegensätzliche Schicksale: Indien und China

Die Reformen haben auch dem indischen Aktienmarkt hohe Renditen beschert - vor allem im Vergleich zu China, seinem regionalen Gegenspieler. China kämpft mit einem verlangsamten Wachstum, einem angeschlagenen Immobiliensektor, einer schwachen Verbraucherstimmung und vorsichtigen Infrastrukturausgaben aufgrund von Bedenken über die hohe Verschuldung. Im Gegensatz dazu erlebt Indien einen Boom im Immobiliensektor, eine lebhafte Verbraucherstimmung in der aufstrebenden Mittelschicht und in städtischen Gebieten (die Ausgaben auf dem Land bleiben hingegen schwach). Außerdem erleben wir einen Anstieg der Infrastrukturinvestitionen.

Verschärft werden diese unterschiedlichen Schicksale durch geopolitische Faktoren. Die USA zum Beispiel engagieren sich aktiv in Indien als Gegengewicht zu China. Diese strategische Ausrichtung hat zu einem Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen in Indien geführt, insbesondere da globale Unternehmen versuchen, ihre Produktionsstandorte zu diversifizieren. Ein Beleg dafür ist die Einrichtung globaler Kompetenzzentren, in die multinationale Unternehmen ihre Back-Office-Funktionen verlagern, um von Indiens qualifiziertem und dennoch kostengünstigem Arbeitskräftepool zu profitieren. Indien hat diese Aktivitäten mit Initiativen wie dem „Production-Linked Incentive Scheme“ gefördert. Dieses bietet Steuervergünstigungen und Subventionen und hat erfolgreich Investitionen angezogen - insbesondere in Sektoren wie der Smartphone-Herstellung. Ein Großteil dieser Aktivitäten ging zu Lasten Chinas oder führte zumindest dazu, dass China bei neuen Investitionen den Kürzeren zieht. Diese unterschiedliche Entwicklung unterstreicht die erheblichen Unterschiede zwischen den beiden Volkswirtschaften, die sich auch in der Entwicklung der Aktienmärkte niedergeschlagen haben.

Grüne Wirtschaft und erneuerbare Energien

Indien macht auch große Fortschritte in der „grünen“ Wirtschaft und im Bereich der erneuerbaren Energien. Auf dem COP26-Gipfel verpflichtete sich Indien, bis 2070 Netto-Null-Emissionen zu erreichen - ein ehrgeiziges Ziel für ein Entwicklungsland. Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich Indien Zwischenziele für die Erzeugung erneuerbarer Energien bis 2030 gesetzt und positioniert sich damit als einer der führenden Akteure beim Ausbau erneuerbarer Energien.

Während die grüne Wirtschaft vielversprechende Möglichkeiten bietet, kann die Navigation auf Indiens öffentlichen Märkten für Direktinvestitionen eine Herausforderung sein. Nur wenige der börsennotierten Unternehmen haben einen direkten Bezug zu diesem Thema. Investoren können jedoch indirekt über Industrieunternehmen, die Komponenten und Dienstleistungen für den Sektor der erneuerbaren Energien anbieten, Anlagemöglichkeiten finden und nutzen.

Zu berücksichtigende Risiken

Investments in Indien sind nicht ohne Risiken. Die bevorstehenden Parlamentswahlen, Indiens Status als Netto-Ölimporteur und geopolitische Spannungen mit dem benachbarten Pakistan sind nur drei Themen, die Indiens Wachstumskurs und politische Stabilität beeinträchtigen könnten. Auch wenn der indische Aktienmarkt in der Vergangenheit im Vergleich zu anderen Schwellenländern meist mit einem Aufschlag gehandelt wurde, sind die Bewertungen derzeit jedoch selbst im relativen Vergleich hoch - insbesondere bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen. Das Wachstumspotenzial Indiens ist eindeutig der Grund dafür, warum die Anleger bereit sind, einen Aufschlag für diesen Markt zu zahlen. Dennoch muss man abwägen, wie viel ein Anleger bereit ist, für dieses Wachstum zu zahlen.

Eine vielschichtige Investmentmöglichkeit

Trotz seiner teuren Bewertungen bietet Indien eine Reihe attraktiver Sektoren für Anleger. Der Bankensektor, infrastrukturnahe Unternehmen, der Wohnungsbau und auf den Binnenkonsum ausgerichtete Unternehmen bieten Chancen auf diesem dynamischen Markt. Wie bei jeder Anlagemöglichkeit (und insbesondere in Schwellenländern) ist aber Vorsicht geboten. Mit einem selektiven Ansatz und einer langfristigen Ausrichtung haben Anleger jedoch eine Reihe von Möglichkeiten, an Indiens Wachstumsgeschichte teilzuhaben.